„Nur wenn wir über den Kollaps diskutieren, können wir uns vorbereiten“

Unter diesem Titel wurde bereits 2020 ein Aufruf von Forschenden aus diversen klima- und ökologierelevanten Wissenschaftsbereichen veröffentlicht, der damals – ausser in ein paar britischen Medien – unseres Wissens medial keine große Beachtung fand. Darum dokumentieren wir ihn jetzt hier in der deutschen Übersetzung (die Nummern hinter einigen Zeilen beziehen sich auf Quellenverweise in der Originalversion).

„Thema: Nur wenn wir über den Kollaps diskutieren, können wir uns vorbereiten

Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt fordern wir die Politik auf, sich offen mit dem Risiko einer Störung oder gar eines Zusammenbruchs unserer Gesellschaften auseinanderzusetzen. Nachdem es uns fünf Jahre lang nicht gelungen ist, die Kohlenstoffemissionen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen (1) zu reduzieren, müssen wir nun die Konsequenzen tragen.

Während kühne und faire Anstrengungen zur Senkung der Emissionen und zum natürlichen Abbau von Kohlenstoff unerlässlich sind, halten Forscher in vielen Bereichen den gesellschaftlichen Zusammenbruch inzwischen für ein glaubwürdiges Szenario in diesem Jahrhundert (2a & 2b). Es gibt eine Reihe von Ansichten über den Ort, das Ausmaß, den Zeitpunkt, die Dauer und die Ursache solcher Zusammenbrüche; aber die Art und Weise, wie moderne Gesellschaften Mensch und Natur
ausbeuten, ist eine gemeinsame Sorge (3a & 3b).

Nur wenn die politischen Entscheidungsträger beginnen, diese Gefahr eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs zu diskutieren, können Gemeinschaften und Nationen beginnen, sich darauf vorzubereiten und so die Wahrscheinlichkeit, die Geschwindigkeit, die Schwere und den Schaden für die Schwächsten und die Natur zu verringern.

Einige Streitkräfte sehen den Kollaps bereits als wichtiges Szenario, das Planung erfordert (4a und 4b). Umfragen zeigen, dass viele Menschen inzwischen einen gesellschaftlichen Zusammenbruch erwarten (5). Traurigerweise ist das bereits die Erfahrung oder Erinnerung vieler Gemeinschaften im Globalen Süden (6). Das Thema wird jedoch in den Medien nicht gut behandelt und ist in der Zivilgesellschaft und der Politik weitgehend abwesend.

Wenn in den Medien über einen möglichen Kollaps berichtet wird, werden in der Regel Personen zitiert, die die Diskussion über das Thema verurteilen. Uninformierte Spekulationen, z. B. über ausländische Fehlinformationskampagnen oder Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und Motivation, fördern keine ernsthafte Diskussion (7). Vielmehr laufen solche Behauptungen Gefahr, die Tausenden von Aktivisten und Gemeindesprechern zu verraten, deren Antizipation des
Kollapses Teil ihrer Motivation ist, auf Veränderungen in den Bereichen Klima, Ökologie und soziale Gerechtigkeit zu drängen.

Menschen, denen ökologische und humanitäre Themen am Herzen liegen, sollten nicht davon abgehalten werden, die Risiken einer gesellschaftlichen Störung oder eines Zusammenbruchs zu
diskutieren. Das könnte die Gefahr bergen, dass die Agenda von Menschen vorangetrieben wird, die sich weniger für solche Werte einsetzen.

Einige von uns glauben, dass ein Übergang zu einer neuen Gesellschaftsform möglich sein könnte. Das wird mutiges Handeln erfordern, um den Schaden für das Klima, die Natur und andere
Menschen zu reduzieren, einschließlich der Vorbereitung auf größere Störungen des täglichen Lebens. Wir sind uns einig darin, dass die Bemühungen, die Diskussion über den Kollaps zu unterdrücken, die Möglichkeit dieses Übergangs behindern.

Wir haben erlebt, wie emotional herausfordernd es ist, den Schaden zu erkennen, der angerichtet wird, zusammen mit der wachsenden Bedrohung für unsere eigene Lebensweise. Wir kennen auch das große Gefühl der Gemeinschaft, das entstehen kann (8). Es ist an der Zeit, uns gegenseitig zu schwierigen Gesprächen einzuladen, damit wir unsere Mitschuld am Schaden verringern und kreativ sein können, um das Beste aus einer turbulenten Zukunft zu machen (9).“

*

Zwei Jahre später fühlen sich inzwischen hunderte Wissenschaftler*innen aufgrund der immer gefährlicher werdenden Situation zu zivilem Ungehorsam ermuntert – zu betrachten im folgenden kurzen Film:

Das mediale Echo hat sich bei dieser länderübergreifenden Aktion vor ein paar Wochen ebenfalls stark in Grenzen gehalten.