In eigener Sache

Ja…wir hatten uns das eigentlich auch anders vorgestellt, als wir dieses Blog eingerichtet haben. Materialien zu „unseren“ Themen gibt es genug, aber wie üblich, sind es vor allem Zeit und andere fehlende Ressourcen gewesen, die uns in diesem Jahr davon abgehalten haben, hier virtuelles Leben reinzubringen.

Aber nun gut. Wir beschliessen 2017 mit einem – wie wir finden – wirklich interessantem Veranstaltungsdoppelpaket (siehe oben). Und haben uns für 2018 vorgenommen, hier regelmässige Updates zu liefern. Weltpolitik und -geschichte drängeln (leider) geradezu danach, kommentiert, analysiert und letztlich verändert zu werden. In diesem Sinne werden wir die herrschende Pathokratie im nächsten Jahr mehr in den Focus nehmen. Und wünschen allen Lesern & Leserinnen schon mal die üblichen Jahresendwünsche.

 

Der AK-PSK stellt sich vor!

Wir sind zu Besuch im Psychiatrie kritischem Cafe und wurden eingeladen, unsere Themen der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.

So, 11.9.2016,
ab 15 Uhr mit Kaffee, Tee und Kuchen

Ort: Altes Sportamt https://altes-sportamt.de/2016/09/programm-september/

Im Anschluss an das Cafe (18.00Uhr) gibt es  Offbeat/Straßenmusikgelöt von und mit „HÖRZU!“
hoerzu.blogsport.de/hoerzu/

Infos zur Psychiatrie kritischen Gruppe und geplanten Aktionen unter: stattpsychiatrie@riseup.net

Notizen aus der Pathokratie (1)

Ja, der Begriff Pathokratie ist für uns die passende Zusammenfassung dessen, was uns da draussen Tag für Tag sowohl im nächsten Umfeld als auch in den entferntesten Weltregionen aufgetischt wird. Zur genaueren Begriffsklärung wird noch ein eigener Beitrag folgen. Ansonsten werden wir zukünftig unter dieser Rubrik / Überschrift immer kurz verlinken und gegebenfalls auch kommentieren, was wir als erinnerungswürdig über den (Veröffentlichungs-) Tag hinaus ansehen.

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Zu der Serie von Anschlägen in diesem Sommer auf europäischen Boden zunächst ein Interview mit einem Mann, dessen Arbeit in Deutschland bis heute chronisch unterschätzt wird:

taz.am wochenende: Herr Theweleit, Ihr letztes Buch handelt unter anderem von ­Anders Breivik, Sie erstellen darin ein „Psychogramm der Tötungslust“. Der Amokmann von Mün­chen, so wurde ermittelt, verehrte Breivik – wofür?

Klaus Theweleit: Breivik war kein Amokmann. Der Münchener Killer auch nicht. Wer sich ein Jahr vorbereitet, läuft nicht „Amok“. Der Terminus ist zwar in Mode, bei de Maizière und anderen medialen Öffentlichkeitsbebetern, er ist aber komplett falsch für die meisten dieser Fälle. Er wird wohl benutzt, weil man auf dieser Schiene über die Täter nicht viel herausbekommt. Das ist wohl das Ziel. Die offiziellen ministerialen Lösungsvorschläge lauten ja auf „schnellere Abschiebung kleinkriminell oder anders auffällig gewordener Flüchtlinge“ – obwohl der Münchener Attentäter mit Flüchtlingen nichts zu tun hat. Mit der psychisch-körperlichen Lage von ihnen und auch der der Killer will sich niemand – so gut wie niemand – befassen.

 

Das Interview ist eine sehr komprimierte Zusammenfassung der Kernthesen des letzten Buches „Das Lachen der Täter“ von Theweleit, in dem er selbst eine Art Fortsetzung der bahnbrechenden „männerphantasien“ aus den späten 1970er Jahren sieht. Für beide gilt ( aus Sicht des Autors dieser Zeilen): die Basis in einem, wenn auch im neuesten Werk um neurobiologische Forschungen (A. Damasio) erweiterten, explizit psychoanalytischem Bezugsrahmen ist ein Faktor, der aus unserer Sicht für unnötige Verzerrungen sorgt. Ja, wir sehen wesentliche Teile der orthodoxen Psychoanalyse nach Freud als überholt, oder treffender, niemals realitätstüchtig gewesen, an. Das mindert aber nicht den grundsätzlichen Wert der Arbeit von Theweleit, die im deutschprachigen Raum noch immer einzigartig ist. Und die – wie auch im obigen Interview deutlich wird – , bis heute in der Lage ist, den eigenen Wahrnehmungsfocus entscheidend zu vergrößern und dadurch ein anderes Licht auf viele Dinge wirft.

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Unter dem Titel „Verrückte Welt“ befasste sich die jungle world Ende Juli in einem Kommentar mit den gleichen Taten und kam zu folgenden Schlüssen:

Während alle Welt versucht, den Terrorismus und andere Formen extremer Gewalt als unverständlichen Wahnsinn von einer angeblichen Normalität abzuspalten, laufen diejenigen, die für die direkte Aktion zu auto­ritär ticken, in den Wahlkabinen Amok und wählen Figuren wie Trump, Erdoğan, Le Pen, Orbán, Petry und Gauland, die objektiv nicht alle Karten im Deck haben und ganz offen die irrsinnigsten Taten ankündigen. Verrückt ist das neue Normal, was freilich nur diejenigen überrascht, die in den vergangenen Jahrzehnten kein einziges gutes Buch in die Hand genommen haben und blind und blöd durchs Leben taumeln. Der Wahnsinn kommt von einer Welt, die an ihren Widersprüchen zerbricht, weil sie wortwörtlich ums ­Verrecken nicht einsehen mag, dass die Reduktion allen Seins auf den Warencharakter und das gleichzeitige Hätscheln irrationaler Ideologien nirgendwo anders hinführen können als in einen Abgrund, dessen Tiefe die meisten noch gar nicht erahnen.

 

Mal abgesehen davon, dass „die Reduktion allen Seins auf den Warencharakter“ womöglich mehr als Symptom denn als Ursache anzusehen ist, durchaus treffende Worte.

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Und zum Schluss dieser AmokTerror-Sammlung noch ein sehr lesenswertes Statement von Götz Eisenberg, einer der wenigen hierzulande, der sich zum Thema Amok seit Jahren wirklich interessante Gedanken macht:

Wem es wirklich um Prävention zu tun ist, wird sich fragen müssen: Welche menschlichen Haltungen gedeihen eigentlich in einem gegebenen sozialen Klima, welche sterben ab? Der Neoliberalismus hat treibhausmäßig eine Atmosphäre der Konkurrenz und zwischenmenschlichen Feindseligkeit gezüchtet und die Herausbildung einer „Kultur des Hasses“ (Eric J. Hobsbawm) befördert. Die Fähigkeiten zu Mitleid, gegenseitiger Hilfe und Solidarität verdorren, weil sie durch die gesellschaftlichen Verhältnisse keine Stützung erfahren und als Karriere-Hindernisse gelten. Die Menschen werden systematisch aufeinander gehetzt und zerfleischen sich untereinander, statt sich gegen zunehmend unerträgliche Verhältnisse zusammenzuschließen und zu wehren. Aggressionen häufen sich an den Rändern des Bewusstseins, der Angst- und Wahnsinnspegel steigt, eine gereizte Stimmungslage breitet sich aus. So dürfen wir uns nicht wundern, wenn Amok und Terror die kriminelle Physiognomie des neoliberalen Zeitalters prägen.

 

Soweit für den Moment. Wie wir fürchten müssen, werden uns ähnliche Taten – nicht eindeutig in einer Schublade abzulegen – zukünftig vermehrt beschäftigen.

 

Ab sofort auch Kommentare möglich

Viel müssen wir dazu nicht sagen: Beleidigungen, Spam und offensichtliche Trollereien fliegen ohne große Worte raus. Ansonsten freuen wir uns auf inhaltsreiche Kritiken, Vorschläge, Anmerkungen…

UPDATE: Wegen des hohen Aufkommens von Spam, mussten wir leider in den Freischalt-Modus wechseln. Deshalb werden Kommentare nicht mehr automatisch freigeschaltet.

 

Interview zum Thema „Kriegsenkel“

Seit Mitte der 1980er Jahre (zumindest in der alten BRD) sind nun die traumatischen Folgen von Faschismus und Weltkrieg innerhalb der deutschen Bevölkerung zum Thema der wissenschaftlichen und literarischen Aufarbeitung geworden. Und offensichtlich ist der Bedarf bis heute vorhanden – nicht nur das Veröffentlichen weiterer Bücher belegt das, sondern auch die relativ zahlreichen Kommentare unter einem Interview bei „Spon“:

… Der Krieg war in der Familie Tabuthema, und ich hatte bis weit ins Erwachsenenleben eine Botschaft meiner Eltern verinnerlicht: Uns geht es doch gut. Ich dachte: Was bin ich doch für ein undankbares, wehleidiges Kind, wenn ich meine Kindheit hinterfrage. Genau dieser Gedanke hindert Kriegsenkel daran, ihre Familiengeschichte auszugraben.

 

SPIEGEL ONLINE: Sie haben es aber doch getan – und ein Buch darüber geschrieben.

 

Lohre: Bei der Recherche taten sich Abgründe im Idyll auf. In ihrem vermeintlich sicheren Heimatdorf hatte meine Mutter als Siebenjährige Bombenangriffe nur knapp überlebt. Mein Vater war in der Schule von einem sadistischen Ex-Offizier regelmäßig verprügelt worden. Weil niemand ihre Not sah, mussten sie ihre Erfahrungen verdrängen oder für normal erklären: So war das halt damals. In Millionen Familien haben Kriegskinder eine Sache gelernt und ihren Kindern, den Kriegsenkeln wie mir, vermittelt: Stell dich nicht so an. Aber viele ihrer Erfahrungen waren eben außergewöhnlich und traumatisch. Und viele Folgen ihrer Traumata haben meine Eltern mir vererbt. Das war der Anlass für das Buch. (…)

 

Das ganze Thema taucht unregelmässig auch bei unseren Diskussionen im AK immer wieder auf, und ist innerhalb einzelner Biographien sowieso eine Art „Dauerbrenner“. In den diversen Fraktionen der politischen Linken in Deutschland jedoch ist diese Ebene der desaströsen deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts ein Nichtthema. Obwohl – oder weil ? – die vielfältigen Konsequenzen innerhalb der hiesigen Gesellschaft von allen Kriegsfolgen bis heute noch für viele Menschen am deutlichsten spürbar sind, gerade in den eigenen Herkunftsfamilien. Allerdings oft genug, ohne den Hauch einer Ahnung der historischen Zusammenhänge zu haben. Und dieser blinde Fleck trägt bis heute dazu bei, ein tatsächliches Verständnis sowohl der eigenen als auch der gesamtgesellschaftlichen Situation zu behindern.

Natürlich spielt dabei gerade links die deutsche TäterInnenschaft eine gewichtige Rolle. Und „klassisch politisch“ ist das auch – leider – bis heute nötig. Aber die psychosozialen Kriegsfolgen innerhalb der deutschen Gesellschaft können damit nicht relativiert werden. Traumata funktionieren nach eigenen Gesetzen und einer strengen Logik und machen keine Unterschiede in dem Punkt, was Betroffene vorher einmal getan oder auch nicht getan haben.

Es gab vor einigen Jahren einmal einen etwas überraschenden Hinweis darauf, dass im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung zumindest in Teilen der sog. politischen Eliten hierzulande durchaus ein Bewusstsein über diesen Jahrzehnte lang tabuisierten gesellschaftlichen Untergrund existiert. Und mehr noch: das diese posttraumatischen Strukturen beim Regieren durchaus ins Kalkül miteinbezogen werden. Der ehemalige Finanzminister der SPD, Peer Steinbrück, hielt 2009 vor dem Parteivorstand eine sog.  Brandrede, bei der folgender Teil sehr aufschlussreich ist:

Ich weiß, dass die „Mitte der Gesellschaft“ ein sehr diffuser Begriff ist, über den man trefflich streiten kann. Aber dies ändert nichts an der nach wie vor richtigen Einschätzung, dass genau in dieser Mitte unserer Gesellschaft Wahlen gewonnen oder auch verloren werden. Die Addition von Minderheitsinteressen führt keineswegs arithmetisch zu einer politischen Mehrheit in Deutschland. Und bei der Annäherung an die Linkspartei ist nicht einmal ein Nullsummenspiel, sondern eher ein Verlust für die SPD wahrscheinlich, weil immer um einen Faktor höher Wählerinnen und Wähler in der Mitte zu den konservativ-bürgerlichen Parteien überlaufen. Das hat etwas mit der ausgeprägten Sehnsucht der Deutschen nach Stabilität, Sicherheit und Beständigkeit zu tun. Diese in meinen Augen tief verankerte Sehnsucht in der deutschen Gesellschaft geht auf die Brüche und traumatischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts zurück. Diese Traumatisierungen sind nach wie vor mentalitätsprägend und lassen die Wählerinnen und Wähler in Deutschland in der Mitte zusammenrücken. Jede Annäherung an die politischen Ränder trifft daher auf eine verbreitete Skepsis, mehr noch: Ablehnung in der Bevölkerung. (…)

Der letzte Satz galt und gilt dabei aus diversen Gründen immer vor allem für den linken Rand… aber unabhängig davon ist bis heute ein derartiger Klartext überraschend. Zumal er ein bisher kaum beachtetes mögliches Element strategischer Planung in der staatstragenden Politikelite deutlich macht. Und neben den hautnahen „persönlichen“ Gründen, sich mehr mit der traumatischen Matrix in diesem Land zu beschäftigen, ist der oben umrissene für politsch Interessierte ein weitere Aspekt. Mal ganz abgesehen vom Verstehen aktueller rechter bis faschistischer Strömungen, nicht nur in Deutschland.

 

Judith Herman „Die Narben der Gewalt“

Eines derjenigen Bücher, die wir schon durchgearbeitet haben – sehr empfehlenswert!

Das Buch wendet sich ausdrücklich an alle, die interessiert sind und/oder sich engagieren für eine menschliche Welt, frei von Gewalt und Waffen. Pflichtlektüre sollte es sein für all die, die mit Traumatisierten arbeiten (werden), aber auch für all die, die in Politik und im Sozialwesen sowohl (mit)-verantwortlich sind für die Entstehung von traumatisierenden Situationen als auch für die gesellschaftliche Pflicht, Genesung zu wollen und zu fördern. Aufklärend und verstehensfördernd ist es zudem für die Menschen, die mit Überlebenden/Opfern zusammen leben – PartnerIn, Familie, Freunde.

(aus der Rezension )